Bauernkate, Wohn- und Atelierhaus, Arbeitsschule, Kinderheim, Stipendiatenstätte, Ausstellungsort … – der Barkenhoff fasziniert durch seine wechselvolle Geschichte. Heute befindet sich im Haupthaus des denkmalgeschützten Ensembles das Heinrich-Vogeler-Museum, in den Remisengebäuden sind Ausstellungsräume für wechselnde Präsentationen eingerichtet. Angegliedert ist das umfangreiche Worpsweder Archiv, dessen Kunstbestand den maßgeblichen Teil der Sammlung des Museums ausmacht und darüber hinaus einen großen Fundus von Handschriften, Dokumenten und Literatur zur Worpsweder Kunst- und Kulturgeschichte umfasst.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die bauliche Substanz des Hauses im Zuge der unterschiedlichen Nutzungen immer wieder verändert worden. Vor allem die Entscheidung, den Barkenhoff zukunftsfähig in der Museumslandschaft des 21. Jahrhunderts zu platzieren, forderte architektonische Eingriffe und einen neuen konzeptionellen Ansatz. Bei der baulichen und inhaltlichen Modernisierung galt es einerseits, die Authentizität des Ortes und seiner geschichtlichen Dimension zu wahren, und andererseits, die Voraussetzungen für einen modernen Museums- und Ausstellungsbetrieb zu schaffen. Dabei entstanden ein weiteres Mal spannungsreiche Wechselwirkungen zwischen Tradition und Innovation, deren Kristallisationspunkt das Haus seit über einem Jahrhundert immer wieder gewesen ist:
Wir sind zum 3. Mal auf dem Barkenhoff. So schön es ist, all das Schöne und Vertraute wieder zu sehen, so sehr freut uns auch das neue Konzept. Es zeigt Vogeler in seiner Größe und Vielseitigkeit besser und wird seiner Gesamtpersönlichkeit gerechter. Dass junge Künstler hier Raum finden und Worpswede nicht stehen bleibt beim Alten, hätte Heinrich Vogeler sicher sehr gefallen.
Der Eintrag ins Gästebuch zeigt beispielhaft eine charakteristische Besuchererwartung – die Vorstellung von einem romantischen Jugendstil-Gesamtkunstwerk, an das sich eine umfangreiche Darstellung der Historie von Haus und Bewohnern koppelt. Doch dabei bleibt es nicht: Auch Aktualität und Zeitgenossenschaft werden in diesem Kontext positiv bewertet. Der Kommentar unterstreicht die Entwicklung des Barkenhoff zu einem Museum, dessen Konzept historische und zeitgenössische Aspekte integriert, um kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge sichtbar zu machen und ein aktuelles Kunsterlebnis zu ermöglichen.
Dies ist der jüngste Schritt in einer Abfolge dynamischer Veränderungen, die der Barkenhoff in den vergangenen 120 Jahren durchlaufen hat und die ihren Anfang mit dem ersten Worpswede-Besuch des 1872 in Bremen geborenen Künstlers Heinrich Vogeler nahmen.
Meine Hütte ist mein Alles.
schrieb Vogeler im Jahr 1897 an den befreundeten Schriftsteller Gerhart Hauptmann. Drei Jahre zuvor hatte er eine über 60 Jahre alte Bauernkate mit Strohdach am Rande des Weyerbergs für sich entdeckt und sie 1895 erworben. Bis 1908 gestaltete Vogeler Haus und umgebendes Gelände in mehreren Bauabschnitten zu dem Gesamtkunstwerk um, das teilweise noch in Originalsubstanz erhalten ist. Das baufällige Rauchhaus wurde zunächst mit einem Schornstein versehen und hangseitig durch ein kleines Atelier erweitert. Die charakteristische Fassade des Barkenhoff – heute ein Wahrzeichen Worpswedes – entstand 1898. Das Haus erhielt ein zusätzliches Stockwerk und einen vorgebauten, biedermeierlichen Giebel, den Vogeler mit einer Terrasse und einer geschwungenen Freitreppe in den Schmuckgarten kombinierte.
Die Gartenanlage wurde parallel zu den Umbauten des Hauses realisiert. Vogeler verwandelte das verwilderte Gelände in ein durchgestaltetes System von Wegen und Beeten, dessen mit Blumenrondellen akzentuierte Hauptachse in einer erhöhten Laube endete. Angrenzend an das Wohnhaus wurden Nebengebäude errichtet, die als Wagenremise, Werkstatt und Waschhaus dienten. 1907 vergrößerte sich das Barkenhoff-Areal durch den Ankauf von umliegendem Gelände um ein Vielfaches. Ein neuer turmartiger Gebäudeteil mit achteckigem Grundriss entstand 1908 als letzte bedeutende Erweiterung der Wohnfläche.
Mit den Ausbauten hatte Vogeler die Bauernkate bereits um 1900 in einen repräsentativen Wohnsitz verwandelt, der seinen wachsenden künstlerischen Erfolg widerspiegelte. Der Barkenhoff avancierte zu einem der prominentesten kulturellen Treffpunkte in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg und zog namhafte Künstler, Musiker und Schriftsteller an. Zum engeren Kreis um Vogeler zählten Otto Modersohn, Paula Becker, Carl Hauptmann, Clara Westhoff und der Dichter Rainer Maria Rilke. Vogeler – ganz Jugendstilkünstler – versuchte, am Weyerberg eine individuelle, aufwändig durchgestaltete Welt zu verwirklichen, die Kunst und Alltag in allen Lebensbereichen harmonisch integrieren sollte. Bewohner und Gäste auf dem Barkenhoff waren in dieses Konzept von Beginn an einbezogen.
Im Zentrum des Gesamtkunstwerks, das Vogeler immer weiter perfektionierte, stand Martha Schröder, die er 1901 heiratete. Die junge Frau aus Worpswede wurde zur Triebfeder seiner Kreativität und zum elementaren Bestandteil seiner schöpferischen Wirklichkeit. Das Haus war wie meine Kunst ganz diesem Mädchen geweiht […]
, so der Künstler 1900. Diese enge Verbindung von Kunst und menschlicher Beziehung wandelte sich zu einer verhängnisvollen Abhängigkeit, die zum frühen Scheitern der Ehe und zu einer über Jahre andauernden emotionalen und künstlerischen Krise Vogelers führte.
1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und kehrte 1918, durch die Erlebnisse im Ersten Weltkrieg desillusioniert und in höchstem Maße politisiert, nach Worpswede zurück. Der Barkenhoff, seit 1901 das private Domizil des Ehepaars Vogeler und der drei gemeinsamen Töchter, wandelte sich zum öffentlichen Ort: Das Anwesen wurde zum Treffpunkt politisch Gleichgesinnter, Vogeler lud Kriegsgefangene zu sich ein, es entstanden eine Volksküche und eine Volksbibliothek; zeitweise diente das Haus auch politisch Verfolgten als Versteck. 1919 gründete sich dort eine wirtschaftlich-handwerkliche Produktionsgemeinschaft, die Barkenhoff-Kommune, die in Vogelers Sinne ein autarkes, bargeldloses Leben als Aufbauzelle der klassenlosen menschlichen Gesellschaft
versuchte.
Martha Vogeler zog 1920 gemeinsam mit den Töchtern in das neu aufgebaute Haus im Schluh in Worpswede. Auf Vogelers Wunsch nahm sie große Teile des Mobiliars, des Hausrats und auch die Kunstgegenstände mit, die in seiner neuen Welt
keine Funktion hatten und ihm nichts mehr bedeuteten. Als das sozialutopische Experiment der Arbeitsgemeinschaft und Arbeitsschule scheiterte, übereignete Vogeler sein Haus 1923 der Roten Hilfe Deutschland, die dort ein Kinderheim einrichtete. Er selbst gab damit seinen Barkenhoff nach fast 30 Jahren auf und begann mit seiner ersten Reise nach Russland einen vollkommen neuen Lebensabschnitt.
Nach Schließung des Kinderheims im Jahr 1932 und dem Verkauf des Barkenhoff an einen Gartenarchitekten, wurde hier 1933 eine Gartenbau- und Siedlerschule eingerichtet. Bereits nach Kriegsende war Vogelers Gartenanlage zum Nutzgarten geworden, jetzt wurde das gesamte Gelände extensiv für die Landwirtschaft genutzt. 1939 ging das Anwesen in privaten Besitz über, was vor allem zu weiteren Umbauten der Barkenhoff-Räume führte, um einzelne Wohnungen zu gewinnen. In den folgenden 30 Jahren wurde das Haus durch wechselnde Mieter baulich immer wieder stark verändert und verfiel zusehends.
Als 1971 schließlich eine Zwangsversteigerung angeordnet wurde, war von Vogelers ehemaligem Märchenhof
kaum noch etwas zu erahnen. Der Plan eines Investors, den Barkenhoff abzureißen, das Gelände zu parzellieren und es mit Bungalows zu bebauen, wurde in letzter Minute verhindert: Auf Initiative der Freunde Worpswedes und mit finanzieller Unterstützung der gemeinsamen Landesplanung Bremen-Niedersachsen, der Stiftung Worpswede und des Bremers Dr. Ludwig Roselius erwarb die Gemeinde Worpswede das Anwesen 1972.
Dies erlaubte die Sicherung der Substanz des Hauses, bis 1981 die Barkenhoff-Stiftung Worpswede als Träger einer neuen Nutzung ins Leben gerufen wurde. Gründungsmitglieder waren die Länder Niedersachsen und Bremen, der Landkreis Osterholz, die Gemeinde Worpswede, der Verein Barkenhoff, die Stiftung Worpswede, die Erbengemeinschaft Vogeler und der Kunsthistoriker Hans Herman Rief (1909-2009). Er brachte mit dem Worpsweder Archiv einen umfangreichen Bestand an Grafiken, Gemälden, Handschriften und Dokumenten von Vogeler und mehreren Generationen weiterer Worpsweder Künstler in die Stiftung ein. Rief hatte diese Keimzelle der Erinnerung
gemeinsam mit Martha Vogeler über Jahrzehnte im Haus im Schluh aufgebaut. Die Erbengemeinschaft Vogeler stiftete eine Vielzahl von Gemälden, Grafiken und Möbeln, die Vogeler seiner Frau Martha bei ihrem Auszug überlassen hatte: Die besten und schönsten Dinge meines Vaters aus dem Barkenhoff sollen dorthin zurück
, so die Tochter Bettina Müller-Vogeler.
Die Barkenhoff-Stiftung Worpswede übernahm die Aufgabe, den Nachlass Heinrich Vogelers sowie das Worpsweder Archiv zu pflegen. Stiftungszweck war darüber hinaus die Förderung der Kunst und die Entwicklung des Barkenhoff zu einem kulturellen Zentrum
. Nach einer ersten Sanierung wurden im Haus Ausstellungs- und Archivräume eingerichtet und im Oktober 1981 eröffnet. Vier angegliederte Ateliers boten Künstlern eine Wohn- und Arbeitsmöglichkeit. Im Zusammenschluss mit dem Atelierhausverein, der bereits seit 1971 Ateliers in Worpswede zur Verfügung stellte, entwickelte sich der Barkenhoff zur größten Stipendiatenstätte in Niedersachsen. Über 400 internationale Künstler waren in den Künstlerhäusern Worpswede
zu Gast, bevor das Land Niedersachsen das von ihm finanzierte Programm 2010 an einen Standort mit universitärer Anbindung verlagerte.
Heute bietet der Barkenhoff die Voraussetzungen, Heinrich Vogeler in einer alle künstlerischen Gestaltungsbereiche umfassenden Präsenzausstellung vorzustellen. In diesem Kontext wird die stiftungseigene Sammlung durch Dauerleihgaben wie das Spätwerk Vogelers aus dem Bestand der Museen Preußischer Kulturbesitz ergänzt. Zugleich erweitern die neu geschaffenen Sonderausstellungsflächen die Möglichkeiten, Worpswede auch als aktuellen Kulturstandort weiter zu profilieren.
Beate C. Arnold, 2014
Der Text erschien im Mai 2014 unter dem Titel Der Barkenhoff: Vom Künstlerwohnsitz zum Kunstmuseum
in dem Katalog Mythos und Moderne – 125 Jahre Künstlerkolonie Worpswede
, herausgegeben von Katharina Groth und Björn Herrmann, Wienand Verlag, Köln 2014.
Die Ateliers in den Remisen des Barkenhoff wurden im Rahmen des Masterplan Worpswede
2011/2012 zu neuen Sonderausstellungsflächen umgebaut. Hierbei entstanden auch Archiv- und Verwaltungsräume. Diese Maßnahmen führten ein acht Jahre zuvor begonnenes Investitionsprogramm weiter, mit dem bereits das Haupthaus kernsaniert worden war, um dort am 12.12.2004 das Heinrich-Vogeler-Museum eröffnen zu können. Unter Berücksichtigung der originalen Substanz und der ursprünglichen Anlage des Hauses erfolgte dabei eine systematische Restaurierung und Restrukturierung. Dieses Programm umfasste auch die Installation der für einen modernen Ausstellungsbetrieb notwendigen Technik und erste Erweiterungen der Ausstellungsflächen.